Es begann mit einem Gemälde: „Erschöpfte von der Sonne“ von Wassili Chudoschnikow. Als der junge Moskauer Kaufmann Pawel Tretjakow dieses Werk am 22. Mai 1856 erwarb, ahnte niemand, dass damit die Geschichte der wohl bedeutendsten Sammlung russischer Kunst begann. Heute gilt dieser Tag als offizielles Gründungsdatum der Staatlichen Tretjakow-Galerie, einem Museum von weltweitem Rang.
Tretjakow, Sohn eines wohlhabenden Textilkaufmanns, war nicht nur ein kunstsinniger Sammler, sondern vor allem ein Idealist. Sein Ziel: der Aufbau einer nationalen Galerie, die das künstlerische Schaffen Russlands dokumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich ist. Ab den 1860er-Jahren konzentrierte er sich auf Werke zeitgenössischer Künstler wie Ilja Repin, Iwan Kramskoi und Wassili Perow – Vertreter des Realismus und Mitglieder der Wandermalerbewegung (Peredwischniki), die sich gegen den akademischen Kunstbetrieb wandten.
Bereits 1867 öffnete Tretjakow seine Privatsammlung im Moskauer Stadtteil Samoskworetschje für Besucher. Nach seinem Tod im Jahr 1898 umfasste die Sammlung über 2.000 Werke – darunter Ikonen, Porträts, Landschaften und historische Szenen. 1892 hatte er sie bereits testamentarisch der Stadt Moskau geschenkt – samt Gebäude und unter der Bedingung, sie als nationale Galerie weiterzuführen.
Nach der Oktoberrevolution wurde die Sammlung verstaatlicht. Seit 1918 trägt das Museum den Namen Staatliche Tretjakow-Galerie. Es wuchs in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich, teils durch Überweisungen aus anderen Museen, teils durch Enteignungen. Heute gehören rund 180.000 Werke zur Sammlung – von mittelalterlichen Ikonen Andrei Rubljows über symbolistische Meisterwerke bis hin zur sowjetischen Avantgarde.
Zwei Standorte – das historische Gebäude im Süden Moskaus mit der klassischen Sammlung und der moderne Bau am Krymskij-Wal mit der Kunst des 20. Jahrhunderts – machen die Galerie zu einem Ort, der die gesamte russische Kunstgeschichte erzählt. Und der bis heute zeigt, welche Kraft in privatem Mäzenatentum liegen kann.

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- Tretjakow-Galerie Russland KI wn: Werner Niedermeier | Werner Niedermeier