Am 26. Juli 1978 wurde vor dem Hamburger Landgericht ein historischer Prozess entschieden: Die Feministin Alice Schwarzer und neun weitere Frauen hatten die Zeitschrift Stern wegen sexistischer Titelbilder verklagt. Sie forderten, dass der Verlag Gruner + Jahr und der Chefredakteur Henri Nannen solche Darstellungen unterlassen sollten, die die Menschenwürde von Frauen verletzen und ein ganzes Geschlecht erniedrigen würden.
Die Klage war eine Reaktion auf eine Reihe von Stern-Covern, die nach Ansicht der Klägerinnen frauenfeindlich waren. Zum Beispiel zeigte ein Titelbild aus dem Juni 1977 ein leicht bekleidetes Damengesäß auf einem Fahrradsattel, ein anderes aus dem März 1978 eine Frau im String-Bikini von hinten. Der direkte Auslöser war jedoch ein Foto von Helmut Newton aus dem April 1978, das die schwarze Sängerin Grace Jones nackt, mit einem phallischen Mikrofon in der Hand und schweren Ketten um die Fesseln zeigte.
Alice Schwarzer, die 1971 mit ihrer Aktion „Wir haben abgetrieben“ im Stern für Aufsehen gesorgt hatte, sah in diesen Bildern eine Beleidigung aller Frauen und eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Sie argumentierte, dass die Frauen als bloße Sexualobjekte dargestellt würden, die sich den Männern unterwerfen oder gar Gewalt ausgesetzt seien. Sie berief sich dabei auf Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt.
Der Prozess erregte großes öffentliches Interesse und löste heftige Debatten aus. Die Medien berichteten ausführlich über den Verlauf der Verhandlung, die am 14. Juli 1978 begann und mehrere Stunden dauerte. Das Gericht musste mehrmals den Saal wechseln, um Platz für die zahlreichen Zuschauer und Journalisten zu schaffen. Auch internationale Medien waren anwesend, um über den ersten Sexismus-Prozess in Deutschland zu berichten.
Die Verteidigung des Sterns wies die Vorwürfe zurück und berief sich auf die Pressefreiheit und das Recht auf künstlerische Gestaltung. Henri Nannen verteidigte die Titelbilder als Ausdruck einer sexuellen Revolution und einer neuen Freiheit für Frauen. Er bezeichnete die Klägerinnen als frustrierte „Grauröcke“, die eine Meinungs- und Geschmacksdiktatur errichten wollten. Auch andere Medien-Mogule wie Rudolf Augstein vom Spiegel kritisierten die Klage als einen Angriff auf die demokratische Rechtsordnung.
Das Gericht gab schließlich dem Stern recht und wies die Klage ab. Der Richter Engelschall begründete seine Entscheidung damit, dass es keine Rechtsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch gebe, da die Titelbilder keine Beleidigung oder Verleumdung darstellen würden. Er bedauerte jedoch, dass er die Beklagten nicht verurteilen könne, da er persönlich die Bilder ebenfalls als geschmacklos und anstößig empfinde.
Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen akzeptierten das Urteil nicht und legten Berufung ein. Sie zogen bis vor das Bundesverfassungsgericht, das ihre Beschwerde jedoch 1980 als unzulässig verwarf. Damit war der juristische Kampf gegen den Stern beendet.
(Bild: Titelbild der Zeitschrift „Emma“ zum Prozess)

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