In einem nüchternen Sitzungssaal in Bonn wurde am 23. Mai 1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland feierlich verkündet. Es war das Fundament eines neuen demokratischen Staates – entstanden in den westlichen Besatzungszonen, nach Jahren der Diktatur, des Krieges und der Besatzung. Der 23. Mai 1949 markierte damit den Neubeginn in einem geteilten Deutschland – zunächst als Provisorium gedacht, heute die dauerhafte Verfassung der Bundesrepublik.
Der sogenannte Parlamentarische Rat wurde am 1. September 1948 einberufen. Er setzte sich aus 65 stimmberechtigten Mitgliedern zusammen, die von den Landtagen der elf westdeutschen Länder entsandt wurden – darunter führende Köpfe wie Konrad Adenauer (CDU), Carlo Schmid (SPD), Theodor Heuss (FDP) und Hermann von Mangoldt (CDU). Sie alle trugen maßgeblich zur Ausarbeitung des neuen Grundgesetzes bei, stets unter dem prüfenden Blick der westlichen Alliierten.
Von den 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates waren lediglich vier Frauen vertreten – doch ihr Einfluss war bemerkenswert. In ihren Fraktionen engagierten sie sich mit Nachdruck für die verfassungsrechtliche Gleichstellung der Geschlechter und weitere soziale Belange:
- Elisabeth Selbert (SPD) kämpfte unermüdlich dafür, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in Artikel 3 Absatz 2 aufgenommen wurde. Ihr Einsatz setzte sich durch – trotz anfänglicher Ablehnung.
- Frieda Nadig (SPD) unterstützte Selbert und war besonders für soziale Gerechtigkeit engagiert.
- Helene Weber (CDU), bereits Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, brachte große parlamentarische Erfahrung mit.
- Helene Wessel (Zentrumspartei) war die einzige Vertreterin einer kleineren Partei und setzte ebenfalls wichtige Akzente in sozialpolitischen Fragen.
Diese vier Frauen werden heute zu Recht als „Mütter des Grundgesetzes“ bezeichnet – ihr Beitrag zur Gleichberechtigung wurde oft übersehen, ist aber unverzichtbar.
Das Grundgesetz war als Übergangslösung gedacht – mit dem Ziel, bei einer späteren Wiedervereinigung eine gesamtdeutsche Verfassung zu schaffen. Der Begriff „Verfassung“ wurde bewusst vermieden. Stattdessen legte man ein „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ vor, dessen Geltung auf die westlichen Besatzungszonen beschränkt war.
Mit dem Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 wurde das Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung. Die Präambel wurde entsprechend angepasst, die provisorische Konstruktion hatte sich bewährt.
Das Grundgesetz wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 60-mal geändert – unter anderem zur Einführung der Bundeswehr, zur Notstandsregelung 1968, zur europäischen Integration und zur Reform des Föderalismus. Dennoch blieb das Fundament unangetastet.
Besonders geschützt sind durch den Ewigkeitsartikel (Artikel 79 Absatz 3) die tragenden Prinzipien der Verfassung. Artikel 1 bis 20, die die Grundrechte und die Staatsstruktur sichern, dürfen nicht verändert werden – nicht einmal durch eine Zweidrittelmehrheit. Sie garantieren die Menschenwürde, das Rechtsstaatsprinzip, die Demokratie, die Gewaltenteilung und die föderale Ordnung. Damit ist ein rechtlicher Schutzwall errichtet worden, der auch in politisch schwierigen Zeiten Bestand haben soll.
Trotz seiner hohen Anerkennung wird das Grundgesetz nicht immer konsequent umgesetzt: Kritiker bemängeln etwa Einschränkungen der Grundrechte durch Überwachungsgesetze, problematische Asyl- und Abschiebepraxis im Widerspruch zur Menschenwürde, fehlende soziale Gerechtigkeit trotz Sozialstaatsprinzip oder mangelnde Transparenz bei Gesetzgebungsverfahren. Auch die starke Einflussnahme von Lobbygruppen oder der Umgang mit Parlamentsrechten bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr werfen regelmäßig verfassungsrechtliche Fragen auf.
Der 23. Mai ist mehr als nur ein Gedenktag – er steht für den Neuanfang eines demokratischen Deutschlands. Das Grundgesetz hat sich in Krisen und Konflikten als tragfähiges Fundament erwiesen. Es ist Ausdruck eines klaren Bekenntnisses: zu Freiheit, zur Würde des Menschen und zur Verantwortung aus der Geschichte. Ein Text, aus der Not geboren – und doch ein Werk von bleibender Stärke.

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