Der Tag der hungrigen Geister (Hungry Ghost Festival) gehört zu den traditionsreichsten Festen im ostasiatischen Raum. Er wird am 15. Tag des siebten Monats nach dem Mondkalender begangen und bildet den Höhepunkt des sogenannten Geistermonats. In dieser Zeit, so die Überlieferung, öffnen sich die Tore der Unterwelt, und die Geister der Verstorbenen kehren für kurze Zeit in die Welt der Lebenden zurück. Der Tag ist daher geprägt von Ritualen, die sowohl Verehrung als auch Beschwichtigung ausdrücken sollen.
In vielen Regionen Chinas, in Taiwan, Hongkong, Malaysia oder Singapur stellen Familien reich gedeckte Opferaltäre auf, auf denen Speisen wie Obst, Reis, Fleisch oder Süßigkeiten dargebracht werden. Dazu werden Räucherstäbchen entzündet und sogenannte Höllenscheine – Papiergeld oder symbolische Papiergegenstände – verbrannt, die den Seelen im Jenseits zugutekommen sollen. Dieses Opferwesen verbindet Elemente aus Buddhismus, Daoismus und Volksglauben. Auch die öffentliche Dimension spielt eine große Rolle. In Städten werden eigens Opernaufführungen oder Marionettenspiele inszeniert, bei denen die ersten Reihen traditionell leer bleiben, da sie für die Geister reserviert sind. Straßen werden von bunten Lampions erhellt, und in manchen Gegenden lässt man schwimmende Laternen zu Wasser, die den rastlosen Seelen den Weg weisen. Damit wird deutlich, wie sehr die Grenze zwischen dem Diesseits und dem Jenseits in dieser Zeit als durchlässig empfunden wird.
Die Ursprünge des Tages reichen weit zurück und sind eng mit alten religiösen Vorstellungen in China verbunden. Erste Hinweise finden sich schon in der Han-Dynastie vor mehr als 2000 Jahren, als man Opfergaben für die Verstorbenen darbrachte, um deren Wohl im Jenseits zu sichern. Später verband sich dieser Brauch mit buddhistischen Traditionen, besonders mit der Legende um den Mönch Mulian. Diese Geschichte erzählt, wie Mulian seine verstorbene Mutter im Reich der Hungergeister fand, wo sie unter Qualen leiden musste. Er bat Buddha um Hilfe, der ihn anwies, am 15. Tag des siebten Monats Speisen und Opfer für Mönche und die verstorbenen Seelen darzubringen. Damit konnte er seine Mutter erlösen. Aus dieser Legende entwickelte sich das buddhistische Ullambana-Fest, das bis heute eine religiöse Grundlage für den Tag der hungrigen Geister bildet.
Mit der Zeit verschmolzen diese buddhistischen und daoistischen Vorstellungen mit volkstümlichen Bräuchen. So entstand ein Fest, das gleichermaßen religiös, spirituell und gesellschaftlich verankert ist. Bis heute wird es von Millionen Menschen begangen und hat seine Bedeutung in modernen Gesellschaften nicht verloren. Es ist Ausdruck einer tiefen Verwurzelung des Glaubens an ein Leben nach dem Tod und an die Verantwortung der Lebenden gegenüber den Verstorbenen.

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