Vor 66 Jahren, am 1. Oktober 1957, kam ein Medikament auf den Markt, das als harmloses Schlaf- und Beruhigungsmittel angepriesen wurde. Es hieß Contergan und enthielt den Wirkstoff Thalidomid. Was niemand ahnte: Das Medikament verursachte bei Tausenden von ungeborenen Kindern schwere Missbildungen oder gar den Tod. Der Contergan-Skandal war die größte Arzneimittelkatastrophe der deutschen Geschichte und löste weltweit einen Schock aus.
Contergan wurde von der Firma Grünenthal aus Stolberg bei Aachen entwickelt und ab dem 1. Oktober 1957 bundesweit verkauft. Es war rezeptfrei erhältlich und galt als sehr gut verträglich. Es half unter anderem gegen die typische morgendliche Schwangerschaftsübelkeit in der frühen Schwangerschaftsphase und wurde gezielt für Schwangere empfohlen. Es wurde vom Innenministerium Nordrhein-Westfalens genehmigt, nachdem es angeblich umfangreiche Labor-Untersuchungen und klinische Tests durchlaufen hatte.
Doch die Tests waren unzureichend und entsprachen nicht den damaligen wissenschaftlichen Standards. Die Firma Grünenthal ignorierte Warnsignale und Hinweise auf Nebenwirkungen, die schon früh auftraten. Sie vertuschte Beschwerden von Ärzten und Patienten, manipulierte Studien und übte Druck auf Behörden und Medien aus. Sie versäumte es, das Medikament an schwangeren Tieren zu testen, was die teratogene Wirkung (die Fähigkeit, Missbildungen zu verursachen) von Thalidomid hätte zeigen können.
Erst Ende 1961 wurde der Zusammenhang zwischen Contergan und den Missbildungen erkannt und das Medikament vom Hersteller vom Markt genommen. Da es aber auch in anderen Ländern vertrieben wurde, kamen weltweit etwa 5000 bis 10000 geschädigte Kinder auf die Welt. Zudem kam es zu einer unbekannten Zahl von Totgeburten. Die Kinder, die überlebten, litten unter schweren Fehlbildungen oder dem Fehlen von Gliedmaßen und Organen. Viele hatten auch innere Schäden an Herz, Nieren, Augen oder Ohren.
Die Contergan-Geschädigten mussten einen langen Kampf um Anerkennung, Entschädigung und medizinische Versorgung führen. Sie wurden oft diskriminiert, ausgegrenzt oder bemitleidet. Sie mussten sich vielen Operationen, Therapien und Anpassungen unterziehen. Sie hatten mit körperlichen, psychischen und sozialen Problemen zu kämpfen. Sie forderten Gerechtigkeit, Würde und Selbstbestimmung.
Der Contergan-Skandal hatte weitreichende Folgen für die Gesetzgebung, die Forschung und die Öffentlichkeit. Er führte zu einer Verschärfung der Arzneimittelzulassung, der Meldepflicht von Nebenwirkungen und der Haftung von Herstellern. Er sensibilisierte für die Risiken von Medikamenten, die Rechte von Patienten und die Situation von Menschen mit Behinderung. Er wurde mehrmals verfilmt, zur Grundlage verschiedener Bücher, Romane und Studien und ist bis heute ein Symbol für eine menschliche Tragödie mit gesellschaftlicher Dimension.

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